Mitleidspraktikum im Jugendzentrum Wesseling

von Markus Schori, Jg. 12

Als ich mich am Montag, dem 15. März, das erste Mal auf den Weg zu meiner Sozialpraktikumsstelle, dem Jugendcafé 55 in Wesseling, begab, wusste ich absolut nicht, was in den drei Wochen auf mich zukommen würde, da ich weder Arbeitszeiten, noch Arbeitsbereich genau kannte. Des Öfteren hatte ich schon vom Jugendcafé als "Absteige für Asoziale" oder ähnlichem gehört, selber war ich jedoch noch nie vorher dort.
Mein "Kollege" war Hans Christian Fliegner, über den ich an die Praktikumsstelle gekommen bin. Der erste Empfang schließlich verlief freundlich aber auch überraschend: "Praktikanten? Moment, welcher Tag ist heute?". Und nach den ersten Bekanntmachungen bekamen wir sogar unseren eigenen Schreibtisch für diese Zeit, da einer der vier Mitarbeiter zu dieser Zeit Urlaub hatte. Zuerst mussten wir aber gegen den Begriff "Mitleidspraktikum" ankämpfen, der sich mit der Zeit unter allen Wesselinger Sozialarbeitern verbreitet hat. Unsere Erklärungen, dass

Compassion“ eher „Mitgefühl

bedeutet, konnte daran nichts ändern.
Im Büro fühlte ich mich direkt heimisch, vielleicht, weil es dort genauso chaotisch aussah, wie bei mir zu Hause auf dem Schreibtisch. Die Frage nach den Arbeitszeiten löste bei der Sozialarbeiterin ein Lächeln aus, als hätte sie das Wort lange nicht mehr gehört. Später wurde uns klar, dass der Begriff "feste Arbeitszeiten" für Sozialarbeiter wohl keine höhere Bedeutung hat. Dementsprechend sah unser Terminplan aus: Mal arbeiteten wir von 11 bis 18, mal von 9 bis 14 Uhr. Ich lernte dabei den gesamten Bereich der Wesselinger Sozialarbeit kennen.
Am ersten Tag besuchten wir den "Internationalen Bund", bei dem Jugendliche, die weder eine Ausbildung noch einen Job haben, entweder den Hauptschulabschluss nachmachen können oder Unterricht in den wichtigsten handwerklichen Bereichen wie Holz, Metall oder Malerei erhalten. Weitere Berufsförderungsmaßnahmen sind Einzelberatungen an der Hauptschule, an denen wir ebenfalls dabei waren. Da die meisten Jugendlichen im Jugendcafé Schwierigkeiten haben, sich auszudrücken, helfen die Sozialarbeiter ihnen bei Bewerbungen, was wir dann schließlich auch machten, und schrieben sogar Kriegsdienstverweigerungen.
Ein anderer Bereich der Sozialarbeit ist die Jugendgerichtshilfe. Dieser Sozialarbeiter muss, wenn ein Jugendlicher vor Gericht steht, einen Bericht vorlegen, der besagt, ob über einen Jugendlicher nach Jugend- oder Erwachsenenrecht verhandelt wird. An einer entsprechenden Gerichtsverhandlung konnten wir teilnehmen.

Highlight Streetwork

Das absolute Highlight des Praktikums gehörte jedoch dem Bereich des Streetwork an. Der Streetworker beschäftigt sich mit mehreren verschiedenen Cliquen, die überwiegend auf Dorfplätzen oder Spielplätzen ihren Treffpunkt haben. Eine dieser leicht rechts gerichteten Cliquen hatte Probleme mit den überwiegend türkischen Jugendlichen aus dem Jugendcafé. Bei einem Fußballspiel sollten die beiden Gruppen etwas näher gebracht werden. Als Schiedsrichter wurde ein Wesselinger Polizist eingesetzt. Auch wenn die rein äußerlichen Kontraste schon enorm waren, verlief dieses Spiel jedoch vollkommen friedlich.
Von der Schulsozialarbeiterin an einer Lernbehindertenschule wurden wir als Betreuer in die Wesselinger Kletterhalle mitgenommen. Die Kinder hatten dabei sichtlich ihren Spaß, und gegen Ende waren wir über die Dankbarkeit, die uns offen gezeigt wurde, sehr überrascht.
Im Jugendzentrum selber betreuten wir oft die ungefähr 14-jährigen Kinder, die an für uns mehr oder weniger selbstverständlichen Dingen wie Waffeln backen sehr viel Freude hatten. Wenn wir zwischendurch einmal nichts zu tun hatten, widmeten wir uns unserem Projekt, der Einrichtung des Computerraums, der vorher nur aus einigen PCs bestand, die nur zur Hälfte funktionierten. Zum Ende des Praktikums hinterließen wir drei funktionierende PCs und ein Netzwerk.
Verantwortung wurde uns ohne Zweifel übergeben, und den Schlüsselbund, der mindestens doppelt so dick ist wie ein typischer Lehrerschlüsselbund am Cojobo, bekamen wir sogar mit nach Hause, da wir morgens zum Teil als erste da sein mussten. Da jede der vielen Türen mindestens zwei Schlösser hat, musste derjenige, der gerade den Schlüssel hatte, sehr oft durch das ganze Haus laufen und alle möglichen Türen auf- und abschließen, weshalb merkwürdigerweise jeder von uns beiden den Schlüssel gerne an den anderen weitergab.

Man muss nicht verrückt sein …

Im Ganzen gesehen, haben wir eigentlich jeden Tag etwas anderes gemacht und wir haben den gesamten Bereich der Wesselinger Sozialarbeit kennen gelernt, von dem nicht mal ich, obwohl ich in Wesseling wohne, etwas geahnt hätte. Die Arbeit, die die Sozialarbeiter jeden Tag auf sich nehmen, ist enorm und die Jugendlichen sind dafür sehr dankbar, auch wenn es nicht immer klar deutlich wurde. Ein Aufkleber an der Tür des Büros lässt die Einstellung der Mitarbeiter im Jugendcafé deutlich werden: "Man muss nicht verrückt sein, um hier zu arbeiten. Aber es hilft ungemein."